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Laudato si 

Gedanken von Thomas Wallimann-Sasaki, Leiter Sozialinstitut KAB

Download als pdf (Treffpunkt Nr. 11/2015)

Echte Sorge für die Menschen heisst Sorge zur Schöpfung – und umgekehrt!

Die Enzyklika „Laudato si“ zur Sorge über das „gemeinsame Haus“ von Papst Franziskus. 

Selten wurde in jüngster Zeit mit so viel Spannung auf eine Enzyklika, ein päpstliches Rundschreiben, gewartet. Nicht nur der Titel – erstmals in jüngster Zeit nicht in Latein, sondern Italienisch -, sondern auch die Vorstellung des Textes am 18. Juni in Rom u.a. mit dem orthodoxen Metropolit von Palermo, einem Klimaexperten und je einer Vertreterin eines grossen Hilfswerkes sowie einer engagierten Gemeinde machte deutlich: Hier geht es um einen Aufruf an die ganze Menschheit, denn nur wenn sich jede und jeder verantwortlich fühlt für diese Erde und ihre Bewohnerinnen, gibt es eine gute Zukunft!

Wie in der katholischen Tradition üblich ist der Text in 246 Absätze durchnummeriert. Diese sind aufgeteilt in eine Einleitung sowie sechs Kapitel. Dabei folgt der Papst dem aus der Katholischen Soziallehre bekannten Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln. Das erste Kapitel schildert einen Überblick über die Krise, in der sich die Welt ökologisch wie auch bezogen auf den Schutz der Menschen und ihrer Würde befindet. Im zweiten bis vierten Kapitel bietet der Papst zum einen Orientierungshilfen aus christlicher Sicht, analysiert aber auch die Situation, wie sie sich uns präsentiert und zeigt auf, wie es soweit kommen konnte. Das fünfte und sechste Kapitel führt über zum Handeln. Leitlinien für das weltweite Zusammenleben werden formuliert und abschliessend – so der Papst – hilft nur eines: es gilt einen andern Lebensstil einzuüben und weiterzugeben.

Zuerst ins Gespräch kommen!

Die Situation für die Erde und ihre Bewohnerinnen ist gravierend! „Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen“ diagnostiziert der Papst in Nr. 2 pointiert. Doch über diese Sorge für das gemeinsame Haus – so sieht der Papst unsere Welt – müssen wir zuerst miteinander ins Gespräch kommen. Hier knüpft er an die Friedensenzyklika Pacem in Terris von Papst Johannes XXIII aus dem Jahre 1963 an, die damals angesichts der atomaren Aufrüstung alle Menschen guten Willens ansprechen wollte. Dies unterstreicht Papst Franziskus, wenn er erwähnt, dass schon viele andere vor ihm in der katholischenTradition, aber vor allem auch ausserhalb der Kirche auf die ernste Lage des Planeten hingewiesen haben. Der von ihm angestossene Dialog soll sich darum nicht nur der Folgen der Wegwerfkultur und damit dem gegenwärtigen Lebensstil widmen, sondern auch die Fragen nach einer verantwortungsvollen Politik und nach einer Wirtschaft, die wirklich dem Menschen dient aufwerfen.

Natürliche und soziale Umwelt sind eng verbunden

Gleich zu Beginn macht der Papst aber auch klar, dass ein Nachdenken und auch ein Handeln zu Gunsten dieser Erde und der Schöpfung nicht gedacht und auch nicht gefordert werden kann, ohne das Soziale, die Situation der Menschen selber miteinzubeziehen. So zeigt für ihn bereits der Hl. Franz von Assisi, dass „die Sorge um die Natur, die Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft und der innere Friede untrennbar miteinander verbunden sind.“ (Nr. 10). Und so ist es nur folgerichtig, dass die Herausforderungen von heute mehr sind als ein technisches Problem, dass durch intellektuelle und technische Leistungen gelöst werden könnte, sondern dass wir alle hier auch persönlich in unserer Spiritualität, Lebenseinstellung und letztlich in unserem innersten Glauben betroffen sind.

Mit diesem Ansatz, der immer wieder in Erinnerung gerufen wird, macht diese Enzyklika deutlich, dass ökologische Fragen immer auch Gerechtigkeitsfragen sind und dass die Art und Weise, wie wir die Fragen der Armut und der Verteilung der Güter angehen immer auch Folgen auf die Erde, die Natur und unsere Umwelt hat.

Am Menschen liegt’s!

Wenn wir schauen, welche Probleme die Enzyklika Laudato si als die grössten Gefahren für das gemeinsame Haus „Erde“ sieht, dann wir eines deutlich: es ist in erster Linie der Mensch selber, der diese Probleme hervorgebracht hat. Dies gilt für die Umweltverschmutzung und die Wegwerfkultur, für den Klimawandel, den Zugang zu Trinkwasser, der Umgang mit der Artenvielfalt und die monokulturelle Landwirtschaft, die Lebensqualität in Städten und die sozialen Ungerechtigkeiten. Für den Papst ist klar, dass hier die Menschen selber die Verantwortung tragen, denn sie haben durch ihr Handeln, aber noch mehr durch ihren Glauben an Machbarkeit und Technologie, an Markt, Konsum und grenzenlose Freiheit die aktuelle Not verursacht. Im dritten Kapitel führt dies Papst Franziskus noch etwas weiter aus. Er ortet eine der Hauptursachen im „technokratischen Paradigma“.  Diese Denkweise reduziert alles auf das Mach- und Berechenbare, sieht die Gewinnmaximierung als Lösung und zeigt sich in der beherrschenden Rolle der Finanzwirtschaft. Verbunden mit der Haltung, dass nur sinnvoll ist, was mir persönlich nützt (der Papst nennt dies den „praktischen Relativismus) führen diese Denk- und Handlungsweisen direkt in die ökologische Krise, die wir heute wahrnehmen.

Doch so sehr dieser Mensch die Krise des gemeinsamen Hauses verursacht hat, so sehr steht auch der Mensch im Zentrum für den Wandel zum Besseren. Dazu gilt es aber den Blick zu weiten. Bereits im zweiten Kapitel will darum Papst Franziskus Verständnis wecken für einen Blick auf die Krise, der den Reichtum der Religionen, ihr ethisches und geistliches Potential zur Bewältigung der vielen Fragen einbezieht. Denn Wissenschaft und Religion können hier in einen produktiven Dialog treten, weil angesichts der Krise „kein Wissenschaftszweig und keine Form der Weisheit beiseite gelassen werden“ darf (Nr. 63).

Weisheit aus der biblisch-christlichen Tradition

Aus der biblischen Tradition liest Laudato si, dass Gott, der Nächste und die Erde immer miteinander verbunden sind.  Die Menschen sind nicht Gott – doch sie sind mit Gott verbunden und in gleicher Weise sind sie auch mit der Natur und der Welt verbunden – und beherrschen diese nicht, wie häufig nicht korrekt interpretiert wird (so der Papst ganz deutlich). So sind das Verhältnis zu Gott, jenes zu den Menschen und zur Natur immer aufeinander bezogen und nicht voneinander zu trennen. Darum  hat es Folgen, wenn in biblischer Tradition die Welt als Schöpfung betrachtet wird. Denn Schöpfung ist mehr als Natur und verpflichet als Geschenk uns Menschen zu einem verantwortlichen Umgang! Nicht unbegrenztes Wachstum und Fortschritt dürfen darum das Ziel sein, sondern die Fülle Gottes – das Gemeinwohl! So findet sich denn auch hier der Sonnengesang des Hl. Franz von Assisi, der der ganzen Enzyklika ihren Namen gibt: Lob gebührt Gott – auf ihn hin ist alles ausgerichtet.

Der Schlüssel zu einer Veränderung liegt darum in einer Ökologie, die sich als Sorge zu Beziehungen versteht. Diese Sorge zeigt sich darin, dass die Menschen die Krise als eine grosse zusammenhängende sehen und so die Sorge um das richtige Wirtschaften, die richtigen Formen der Gesellschaftsgestaltung, das angemessene Konsumieren wie auch die Formen des Wohnens, der Schönheit und der Lebensqualität als eng miteinander verbunden betrachten. Zum Menschen mit seiner Menschenwürde muss so im Verbund mit allem Engagement für das Gemeinwohl Sorge getragen werden.

Leitlinien für den Dialog

Alles, was wir Menschen tun sollen, soll im Dienst des Lebens stehen. Dazu gehören politisches Handeln wie auch individuelles Engagement. Nicht zufällig erscheint die Enzyklika im Frühsommer 2015, damit sie für die Umweltkonferenz von Paris im Herbst 2015 ihre Wirkung entfalten kann! Denn es braucht – das ist für den Papst absolut gewiss – eine globale politische Anstrengung, die nicht nur den Energieverbrauch zum Thema macht, sondern auch die Wachstumsfrage, das kurzfristig-schnelle Denken und Handeln und die Fokussierung auf Eigeninteressen anspricht. Das Gemeinwohl muss nicht nur gedacht, sondern ins Zentrum aller Anstrengungen gestellt werden.

Eine Frage der (geistlichen) Erziehung

Doch all das reicht nicht aus! Papst Franziskus sieht die Veränderung zu einer besseren und menschenfreundlicheren und damit auch gerechteren Welt nicht nur in politischer Aktion, sondern auch in der persönlichen, spirituellen Veränderung! Nein, er moralisiert nicht, sondern er will Vorschläge für eine vertiefte menschliche Reifung machen. Dies heisst, den eigenen Lebensstil zu überprüfen und mehr „Sein“ als „Haben“ zu leben. Er erinnert daran, dass das Evangelium und damit auch der christliche Glaube selber, konkrete handfeste Folgen im Alltag haben müssen und er ermuntert zu einer universalen Geschwisterlichkeit und Kultur der Aufmerksamkeit.

So ist es nur folgerichtig, dass diese Enzyklika nicht mit einem politischen Aufruf, sondern mit zwei Gebeten endet. Das erste formuliert der Papst bewusst für alle Menschen guten Willens, unabhängig ihres Glaubens, das zweite für Christinnen und Christen. Und noch einmal erinnert er an den Kern seiner Botschaft: Das Wohl der Erde und das Wohl der Menschen, vor allem der Schwachen und Armen sind untrennbar miteinander verbunden!