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Abstimmungen vom 28. September 2014

Ethische Orientierungshilfe aus christlicher Sicht.

Der Artikel erscheint in der Ausgabe der September Nummer des treffpunkt.

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- Volksinitiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» (Einheitskrankenkasse).

- Volksinitiative «Schluss mit der MwSt-Diskriminierung des Gastgewerbes!»

Link zur Website des Bundes zu den Abstimmungen vom 28. September.


«Einheitskrankenkasse» und «Gastro-Initiative»

Abstimmung vom 28. September 2014 über die Volksinitiative „Für eine öffentliche Krankenkasse“. Von Thomas Wallimann-Sasaki

«Einheitskrankenkasse»

Ausgangslage

Die Initiative, getragen von zahlreichen Organisationen im Pflege- und Gesundheitsbereich sowie SP-grüner und c.sp-Seite, will in der Grundversicherung die bisherige Situation mit etwas mehr als 60 sich konkurrenzierenden Krankenkassen beenden und die Grundversicherung einer einzigen staatlichen Krankenversicherung – nicht unähnlich der SUVA – übertragen mit kantonal festgelegten Prämien.

Die InitiantInnen versprechen sich davon eine Vereinfachung des Krankenversicherungsbereichs und insbesondere ein Ende des für sie verzerrten und kostentreibenden Wettbewerbs in der Grundversicherung sowie Kosteneinsparungen (keine Werbung, günstigere Prämien) und letztlich bessere Leistungen. Eine Mehrheit des Parlaments wie auch der Bundesrat sowie die Kassen selber sind gegen diese Initiative und gegen deren angestrebte Systemänderung. Sie zweifeln an den Kosteneinsparungen und halten die gegenwärtige Wettbewerbssituation für ausreichend – auch wenn der Bundesrat gerade im Risikoausgleich neue Massnahmen eingeleitet hatte. Zudem – so die GegnerInnen – würde allein der Systemwechsel nicht nur Unsicherheiten, sondern auch hohe Kosten und komplizierte Rechtsverfahren mit sich bringen. Schliesslich glauben die Gegenerinnen nicht, dass ein aus Bund, Kantonen, Versicherungen und Versicherten zusammengesetztes Leitungsgremium aufgrund unterschiedlicher Interessen gemeinsame Entscheidungen fällen kann.

 

Entscheidungskriterien:

Auf der Sachebene betrachtet dürfen die Kassen in der obligatorischen Grundversicherung niemanden ablehnen. „Teure“ PatientInnen führen aber u.a. dazu, dass Kassen höhere Prämien verlangen müssen und somit weniger „wettbewerbsfähig“ sind. Der vorgeschriebene Risikoausgleich verlangt, dass Kassen mit vielen „guten Risiken“, dh. gesunden, jungen Menschen, an Kassen mit kostenintensiven Menschen einen Ausgleich bezahlen. Die Ausgangslage ist also viel weniger wettbewerbsorientiert, als häufig dargestellt. Auch die Steigerung der Kosten des Gesundheitswesens (Prämien) hängen weniger mit Wettbewerbsfragen unter den Kassen zusammen als viel mehr mit den technischen Möglichkeiten der Medizin, dem Angebot und der Kaufkraft der Bevölkerung.

Bezogen auf die Wertebene stecken zwischen Einheitskasse und heutiger Situation unterschiedliche Grundvorstellungen, wie es allen möglichst gut geht in unserem Land. Das Prinzip der Solidarität (ich helfe, weil es Dir schlecht geht) sowie des Gemeinwohls (niemand soll übermässig Lasten tragen oder Vorteile haben) sind im Grund anti-wettbewerberisch! Sie fordern, dass alle Beteiligten gemeinsam zuerst an jene in Not und damit weiter als ihre eigenen Interessen denken und entsprechend handeln. Damit widersprechen sie der „Markt-Vorstellung“, dass Eigennutzendenken und Wettbewerb automatisch zu guten gesellschaftlichen Lösungen für alle führt. Gerade wenn es um Gesundheitsfragen geht, ist die Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme häufig eingeschränkt. Es gilt darum erst recht Rücksicht auf Schwache und Benachteiligte zu nehmen. Das Ungleichgewicht bezüglich Wissen wirkt sich hier erst recht zu Lasten der (wenig wissenden) Kranken aus.


Handlungsoptionen: 

Sachlich betrachtet kann man davon ausgehen, dass die Kostensteigerung im Gesundheitswesen nur am Rande mit der Frage „Einheitskasse“ oder „Wettbewerb“ zusammenhängt. Gefühlsmässig führt aber Wettbewerb und damit verbundene Werbung dahin, dass Prämiengelder quasi zweckentfremdet werden. Denn wenn Wettbewerb und Geld regieren, kommt die Gesundheit erst an zweiter Stelle. Doch auch so sind sachlich gesehen beide Systeme machbar und somit Zustimmung wie Ablehnung begründbar. Und welches System auch immer: keines ist gratis zu haben.

Kommen Werthaltungen ins Spiel, werden jene die Initiative ablehnen, die im Wettbewerb – wenn auch staatlich über den Risikoausgleich bereits heute stark reguliert – das ideale Mittel zur Erreichung guter Gesundheit für alle erblicken und in der Vielfalt von Anbietern mit dem gleichen Angebot Handlungsfreiheit für sich selber sehen. Annehmen werden die Initiative jene, die darauf vertrauen, dass Betroffene, Staat, Anbietende und Bevölkerung gemeinsam eine Kasse führen können, die zum Wohl aller funktioniert. Mit einem Ja wollen sie zudem auch ein Zeichen setzen, dass das Gemeinwohl nicht  einfach mit Markt erreicht werden kann und auch heute „gemeinwohlorientiert anders denken und handeln“ möglich ist.

 

«Gastro-Initiative»

 Die Ende September 2011 von Gastrosuisse, der Vertretung des Gastgewerbes, eingereichte Volksinitiative „Schluss mit der MwSt-Diskriminierung des Gastgewerbes!“ will gleiche Mehrwertsteuersätze für den Lebensmittelhandel wie das Gastgewerbe. Denn heute können die im Zentrum stehenden Take-away Läden den gleichen tiefen Steuersatz von 2.5% anwenden wie der Lebensmittelhandel und nicht 8% wie das Gastgewerbe, das ebenso warme Mahlzeiten verkauft. In der Tat bestehen hier Ungerechtigkeiten, teilweise auch Wettbewerbsverzerrungen. Diese werden teilweise auch vom ablehnenden Parlament und Bundesrat gesehen, doch resultieren für sie bei einer Angleichung der Sätze nach unten zu grosse Steuerverluste, während eine Angleichung nach oben die Fiskalquote erhöht. Angesichts veränderter Konsum- und Essensgewohnheiten wirken sich die unterschiedlichen Steuersätze ungerecht aus und widersprechen auch dem Gemeinwohlverständnis. Doch auch eine Anpassung des Steuersatzes nach unten ist problematisch, weil dieser neue Bevorzugungen produziert. Wer in der Initiative grössere Gerechtigkeit und darin auch einen Schritt zu einem einheitlichen Steuersatz für alle, wird eher ja stimmen, wer keinen – gewiss höheren - einheitlichen Mindeststeuersatz will und mit der gegenwärtigen Ungerechtigkeit im Sinne eines kleineren Übels leben kann, wird nein stimmen.