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perspectiveSEhen - Urteilen - Handeln

 

Die Methode des ethischen Dreischritts: Sehen—Urteilen—Handeln.

Als Methode wurde «Sehen—Urteilen—Handeln» im Rahmen der christlich-sozialen Arbeiterbewegung entwickelt.

 In den von der UCS (Union der Christlich-Sozialen) herausgegebenen perspe©tiven wird der Dreischritt folgendermassen erläutert.

Sehen...

Hinschauen, Analysieren: Worin besteht das Problem?

Wer nicht genau hinsieht, hat Vorurteile. Genau hinschauen ist schwierig, weil eine komplizierte Welt uns Mühe bereitet, die Sachverhalte richtig einzuordnen. Es geht also darum in einem ersten Schritt, ein Problem oder eine Frage nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu analysieren. Denn ohne Analyse besteht die Gefahr, dass wir Entscheidungen ohne Wirklichkeitsbezug treffen oder die Wirklichkeit unseren Bedürfnissen anpassen. Die Wahrnehmung und Untersuchung eines Problems soll möglichst so geschehen, dass auch Menschen, die unsere Beurteilung nicht teilen, sagen können: „Dieses Problem ist angemessen und sachlich richtig beschrieben.“

Urteilen...

Wert-Grundlagen klären: An welchen Massstäben orientieren wir uns?

Wenn wir auf der Suche sind, wie wir handeln sollen, müssen wir in einem zweiten Schritt nach den Wegweisern und Massstäben fragen. Sie geben uns Urteilshilfen, ausgehend von der Situationsanalyse die richtigen Handlungsoptionen zu wählen.

Der heute meistgebrauchte Beurteilungsmassstab ist der wirtschaftliche. Er beurteilt Situationen nach dem Muster: Wieviel kostet es? Können wir Gewinn machen? Perspe©tive orientiert sich an Massstäben, die auf dem christlichen Menschenbild aufbauen. Wir denken, dass die folgenden fünf „Wegweiser“ (Prinzipien) ausreichend sind, die allermeisten Probleme genügend kritisch zu beurteilen.

Das Personalitätsprinzip

Es besagt: Jeder Mensch ist als Person mit unverlierbarer und unantastbarer Würde zu achten. Das Personalitätsprinzip benennt damit die Voraussetzung für ethisches Denken und Verhalten. Es gibt Antwort auf die Frage: Worauf baut das Zusammenleben auf? Eng mit diesem Prinzip verwandt sind die Menschenrechte, z.B. das Recht auf Leben oder das Recht auf Unversehrtheit.

Das Gemeinwohlprinzip

Es fordert: Die Gesellschaft soll so geordnet sein, dass sich das menschliche Zusammenleben zum Vorteil aller entwickeln kann. Niemand soll übermässig begünstigt oder übermässig belastet werden. Im Zentrum steht die grundsätzliche Frage: Wer profitiert, wer verliert bei Entscheidungen. Das Gemeinwohlprinzip gibt zudem Antwort auf die Frage nach dem ethischen Ziel des sozialen (wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen) Handelns: Wohlstand und ein gutes Leben für wirklich alle. Es dient den folgenden Prinzipien als Ziel.

Das Solidaritätsprinzip

Dieses Prinzip basiert auf dem Grundsatz, dass der andere Mensch ein Mit-Mensch ist, dessen Würde anerkannt werden muss. Haftung und Verantwortung sollen gegenseitig verpflichtend sein, gerade auch dann, wenn mit Hilfe und Einsatz nicht das eigene Vorwärtskommen gefördert wird. Solidarität bedeutet in diesem Sinne etwas anderes als „geben, damit es mir etwas bringt“, sondern „geben, weil der Andere ein Mensch in Not ist“. Befreiungstheologisch kommt es in der Option für die Armen zum Ausdruck. In der Solidarität verbindet sich die Forderung nach Gerechtigkeit mit der Praxis der Liebe.

Das Subsidiaritätsprinzip

Das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass die je grösseren und übergeordneten Sozialgebilde im Dienste der kleineren und untergeordneten zu stehen haben. Hilfe zur Selbsthilfe soll geleistet werden. Darum soll die übergeordnete Ebene – etwa der Staat – nicht Aufgaben an sich reissen, die eine untergeordnete Instanz – der Kanton, eine Gemeinde oder die Familie – selber besser erfüllen kann. Wenn aber eine untergeordnete Instanz eine Aufgabe nicht lösen kann, dann muss die übergeordnete (helfend) tätig werden. Das Subsidiaritätsprinzip sagt damit etwas aus über den sinnvollen Aufbau einer Gesellschaft und eine gute Beziehung zwischen den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft. Es hilft Antworten finden auf die Frage: Wer soll eine Entscheidung treffen und eine Handlung ausführen? Selbstverantwortung und Sozialpartnerschaft kommen diesem Rahmen zur Sprache.

Das Nachhaltigkeitsprinzip

Die Sorge um die Natur und deren Entwicklung kommt im Nachhaltigkeitsprinzip zum Ausdruck. Es besagt: Die Entwicklung von heute soll die Möglichkeiten späterer Generationen nicht gefährden, ihren eigenen Lebensstil zu wählen und Bedürfnisse zu befriedigen.Drei Dimensionen spielen hier zusammen:

  • Umwelt: Im Blickfeld sind die Förderung erneuerbarer Ressourcen und Effizienzsteigerung im Umgang mit Energien. Nur so viel, wie nachwächst, soll auch gebraucht werden (Regeneration). Ebenso sollen nur soviel Schadstoffe produziert werden, wie die Umwelt verkraften kann.
  • Wirtschaft: Es geht darum, für alle ausreichend Wohlstand zu schaffen (vgl. Gemeinwohlprinzip), ohne die Umwelt zu gefährden. Umweltverträglichkeit setzt dem reinen Marktdenken Grenzen.
  • Gesellschaft: Alle sollen am Nutzen teilhaben (Partizipation). Alle, die von einer Massnahme direkt betroffen sind, sollen mitbestimmen können (Demokratieforderung).

 

 

Handeln...

Optionen formulieren: Wie sollen wir uns verhalten? Was ist zu tun?

„Ethik“ endet nicht im Erkennen des Guten und Richtigen, sondern im Tun des Guten und Richtigen. Die Erfahrung lehrt uns, dass es verschiedene Handlungsebenen gibt. Es gibt nicht nur die Einzelpersonen, die handeln, sondern auch Vereine, Organisationen, Staaten oder die Weltgemeinschaft als ganze. Es sind daher Handlungsanweisungen (Optionen) für jede Ebene auszuformulieren.

Thomas Wallimann-Sasaki, Bruno Weber-Gobet